NACHRUF
Ich bin sehr traurig. Mein
liebenswerter Vetter hat für immer „ADE“ gesagt.
Johannes Bröckl, geb. am 23.07.1929 in Weheditz bei Karlsbad ist am
11.09.2018 in München sanft entschlafen. Seine Eltern waren Franz Josef Bröckl,
Optiker (*15.04.1900 +1990) und Ida Rau, eine Bauerntochter (*29.03.1908
+1990). Kindheit und Jugendjahre verbrachte er friedlich und behütet mit zwei
Geschwistern im Elternhaus „Villa Brigitta“ in der Mörikestraße 3, nachdem
Weheditz nach Karlsbad eingemeindet worden war.
Im Herbst 1935, nach einer
Mumps-Erkrankung, erfolgte sein verspäteter Eintritt in die Volksschule in
Weheditz bei Lehrer Schöniger. Ab dem 27.10.1939 ging er in die neu gegründete
Mittelschule in Fischern und im September 1941 trat er in die Oberschule für
Knaben, in Karlsbad, ein. Sein Klassenraum befand sich im Untergeschoß der
Handels-akademie. Vom 15. bis 17. April 1945 erfolgten schwere Bombenangriffe
auf Karlsbad, womit seine Schulzeit in der Oberschule zu Ende war.
Im Sommer 1945 wurde er von den Tschechen
als Hilfsarbeiter beim Wiederaufbau des Lagerhauses am Oberen Bahnhof in
Karlsbad eingesetzt. Als ihm das Mörtelmischen, wohlgemerkt per Hand, nicht
mehr zusagte, beschloss er im September, mit seinem Vetter Hans Rohm „einen
Spaziergang über die Grenze“ zu wagen. Eine volle Woche waren sie unterwegs,
bis sie Solnhofen, wo ein Onkel der Beiden seit etwa 1913 lebte, erreichten.
Bereits im Oktober 1945 kam er in
geistliche Obhut; er ging ins Bischöfliche Gymnasium in Eichstätt, wobei er ab
1947 im Kloster St. Walburg einen „Freitisch“ erhielt und „von
Böhmisch-Katholisch auf Römisch-Katholisch konvertiert“ wurde; lange Zeit
sollte er der einzige „Flüchtling“ in seiner Klasse sein.
1949 machte er, wie er selbst
sagte, „ein wenig glanzvolles Abitur“. Nach 3 Semestern Theologie in Eichstätt
ging er 1951 nach Erlangen und begann dort ein Germanistikstudium und setzte
noch Kunstgeschichte und Bibliothekswissenschaft obendrauf. Etliche Jahre trödelte
er herum, verdiente Geld um es gleich wieder, solange es reichte, in Italien zu
verleben – seine Trauminsel damals war das touristenfreie Stromboli. Er
erzählte, dass er so manches schöne Jahr, auf Kosten der Deutschen
Forschungsgemeinschaft, Bibliotheken heimsuchte und ein „Opus“ ablieferte, das
natürlich unter dem Namen seines Professors, Gerhard Pfeiffer, erschien: Die
Bibliographie zur fränkischen Landeskunde, 1965/78. Vom Professor bekam er 1000
DM Extra-Salär – damit fuhr er nach Italien; er lebte und liebte eben das
„Dolce Vita“ – Pasta und Wein, Kultur, Kunst und die Antike!
Immer noch ohne richtigen Hochschulabschluss
begann er nun am 15.03.1972 eine Ausbildung als Buchhändler in Erlangen, wo er verblieb
bis er als Führungskraft am 01.10.1973 das Antiquariat der Buchhandlung
Hugendubel in München übernahm. Sein Job war sehr interessant und es bereitete
ihm Freude prominente Kundschaft zu betreuen, wie z.B. Otto von Habsburg, das
Haus Wittelsbach, Rainer Barzel, Umberto Eco, Weizsäcker u.v.a. Zudem war er
stets auf den jährlichen Antiquariatsmessen in München und Stuttgart vertreten,
auf dem jährlichen Rotarier-Treffen zu finden und war mächtig stolz, gleich bei
der 1. Hugendubler Versteigerung am 15.05.1984 die „Schedel`sche Weltchronik
1493“ anbieten zu können. Ja – er liebte „alte Wälzer“ und Graphiken! Am
01.08.1994 ging er in den Ruhestand.
Zwei Leidenschaften wohnten in
seiner Brust: 1. liebte er Italien und kannte Rom besser als München. 2. seine böhmische
Wasenmeister- (WM) und Scharfrichterforschung (SchR). Seine Großmutter
mütterlicherseits war Elisabeth Leistner (*11.01.1870 +30.01.1933) eine
Schindertochter aus Katzenholz. Dieser Berufszweig faszinierte und fesselte ihn
Zeit seines Lebens und er sammelte alles darüber, was ihm in die Hände kam. Ab
1970 fuhr er mindestens 2-3 x pro Jahr ins Archiv Pilsen. Man bedenke bitte, es
war die Zeit des „eisernen Vorhangs“; es musste alles geplant werden: Er
benötigte ein Visum, eine Genehmigung aus Prag zur Büchereinsicht, eine
Archivreservierung, eine Zugkarte und
ein Hotel – und alles ohne Computer. Seine Ergebnisse wurden im Jubiläumsband
1981 der VSFF veröffentlicht. Er leistete Pionierarbeit. Seine Forschung gilt heute
als Grundstock der genealogischen Datensammlung über WM und SchR in Böhmen.
2001 durfte ich ihn, die Koryphäe
in WM- und SchR-Wissen, in Augsburg kennen lernen. Wir teilten die Leidenschaft
und fuhren bis im Jahr 2007 fortan in den eisfreien Monaten jeweils für eine
Woche gemeinsam in die tschechischen Archive. Tausende Daten konnte er in
Pilsen, Leitmeritz, Prag, Luditz und Heinrichsgrün eruieren und seine Forschung
entsprechend ergänzen. Seine gesamten Daten wurden 2014 durch die VSFFe.V. unter
„Abdecker und Scharfrichter in Böhmen“ auf einer CD veröffentlicht; eine nahezu
wissenschaftliche Arbeit mit über 4600 Familienblätter.
Zwei Geschichtchen möchte ich
noch anbringen, die er mir oft und oft erzählte.
Seine Großeltern waren Franz
Bröckl, Kutscher/Eisenbahner (*1873 +1942) und Theresia Sußmann, Köchin (*1873
+1951). Das wichtigste Ereignis in den Jugendjahren seiner Großmutter war die
persönliche Begegnung mit Kaiserin Elisabeth von Österreich. Sie war Küchenmädchen bei Heinrich Mattoni in
Gießhübel, als Kaiserin Sisi in dessen Schlösschen zur „Nachkur“ abgestiegen
war. Die Kaiserin war, wie Großmutter immer betonte „inkognito“ dort, d.h. das
Personal durfte nicht wissen wer die Dame war und durfte diese auch keinesfalls
ansprechen. Großmutter Resi brachte täglich der Dame das Frühstück. Am Tag der
Abreise sprach die Dame nach Wortlaut der Großmutter: „Thea, weißt du auch für
wen du immer das Frühstück gebracht hast?“ Sprachlos senkte Resi nur den Kopf.
„Du hast deine Kaiserin bedient, da hast ein Andenken“ und reichte ihr ein
Stück Zwieback, der eigens für die hohe Frau (ohne Salz) gebacken worden war.
Und dieses Stück Zwieback hat die Großmutter bis zum Tag, an dem sie binnen 1
Stunde das Haus verlassen musste (20.09.1945), in ein Tüchlein gewickelt in
einer Dose aufbewahrt. „Und wenn wir ganz brav waren und gebettelt hatten,
durften wir den kaiserlichen Zwieback bewundern – aber nie berühren.“
Seine Urgroßeltern in Katzenholz
waren Josef Leistner, Wasenmeister (*1843 +1932) und Magdalena Kaiser,
Wasenmeistertochter (*1845 +1915). Die Urgroßmutter war weit und breit bekannt
für ihre „schwarze Vasenol-Heilsalbe“ die sie in Spantiegeln verkaufte. Der
Urgroßvater wurde berühmt als Gründer des „Karlsbader Hundefriedhofs“ zu Beginn
des 20. Jahrhunderts. Anlass war eine Amerikanerin die in Begleitung ihres
Schäferhundes als Kurgast in Karlsbad weilte. Ihr Hund verstarb und sie bat den
Abdecker, ihren Liebling nicht in das Kalkmassengrab zu legen. Paris und London
hätten einen Hundefriedhof, warum nicht Karlsbad? Mit Bewilligung des
Staatstierarztes Dr. Bergmann begrub Leistner sen. den Hund etwas abseits der
Kalkgruben; somit war der Grundstein für Ruhestätten von geliebten Vierbeinern
gelegt. 1931 zähle man rund 40 Hundegräber auf einem eingezäunten Areal von 30
x 40 Meter. Auch ein Kurgast-Affe aus England fand hier die letzte Ruhe; sogar
ein Hund aus Russland wurde begraben, dessen Herrchen einige Münzen mit ins
Grab legte. Nach einigen Wochen wurde das Herrchen misstrauisch und ließ das
Grab öffnen; er fand alles vor. Den alten Leistner nannte er einen „Ehrenmann“
und entlohnte ihn großzügig. Fast alle Gräber wurden mit einem kleinen Holzzaun
umfasst, erhielten eine kleine Porzellan-, Marmor- oder Holztafel mit Namens-,
Alters-, Rassen- und Heimatangabe. Viele erhielten eine Porzellantafel mit Porträt
und alle wurden liebevoll bepflanzt. Es sollte der einzige Hundefriedhof im ganzen
Land bleiben.
Das wichtigste Datum in seiner
„Vita“ jedoch war der 30.05.1957. Wieder einmal in Italien, besuchte er an
jenem Tag die Audienz von Papst Pius XII. auf dem Petersplatz in Rom. Er stand
neben einem jungen Mann aus Wien, mit dem er ins Plaudern geriet. Ihre Wege sollten
sich fortan nicht mehr trennen. Dieser Mann, Manfred Karasek, wurde für über 61
Jahre der Lebenspartner an seiner Seite. Seit November 2017 verließ Vetter
Bröckl die Wohnung nicht mehr, eine gewisse Altersschwäche hatte ihn überfallen
und sein Manfred pflegte ihn hingebungsvoll bis zur letzten Stunde.
Ich bin mir sicher, dass viele
Landsleute, Forscherkollegen, Freunde, ehemalige Kunden, sowie Vettern und
Basen Johannes Bröckl in guter Erinnerung behalten werden. Mir selbst wurde er
zum Lehrmeister, zum guten Freund und Vetter und ich werde ihm, solange ich
lebe, ein ehrendes Andenken bewahren.
Arrivederci Vetter Bröckl – Deine
Basl Christine Obermeier
Ponholz, 07.10.2018
War mal wieder wirklich sehr interessant und informativ liebe Christl!
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