Dienstag, 9. Oktober 2018

Nachruf Johannes Bröckl - München


NACHRUF

Ich bin sehr traurig. Mein liebenswerter Vetter hat für immer „ADE“ gesagt.
Johannes Bröckl, geb. am 23.07.1929 in Weheditz bei Karlsbad ist am 11.09.2018 in München sanft entschlafen. Seine Eltern waren Franz Josef Bröckl, Optiker (*15.04.1900 +1990) und Ida Rau, eine Bauerntochter (*29.03.1908 +1990). Kindheit und Jugendjahre verbrachte er friedlich und behütet mit zwei Geschwistern im Elternhaus „Villa Brigitta“ in der Mörikestraße 3, nachdem Weheditz nach Karlsbad eingemeindet worden war.

Im Herbst 1935, nach einer Mumps-Erkrankung, erfolgte sein verspäteter Eintritt in die Volksschule in Weheditz bei Lehrer Schöniger. Ab dem 27.10.1939 ging er in die neu gegründete Mittelschule in Fischern und im September 1941 trat er in die Oberschule für Knaben, in Karlsbad, ein. Sein Klassenraum befand sich im Untergeschoß der Handels-akademie. Vom 15. bis 17. April 1945 erfolgten schwere Bombenangriffe auf Karlsbad, womit seine Schulzeit in der Oberschule zu Ende war.

Im Sommer 1945 wurde er von den Tschechen als Hilfsarbeiter beim Wiederaufbau des Lagerhauses am Oberen Bahnhof in Karlsbad eingesetzt. Als ihm das Mörtelmischen, wohlgemerkt per Hand, nicht mehr zusagte, beschloss er im September, mit seinem Vetter Hans Rohm „einen Spaziergang über die Grenze“ zu wagen. Eine volle Woche waren sie unterwegs, bis sie Solnhofen, wo ein Onkel der Beiden seit etwa 1913 lebte, erreichten.

Bereits im Oktober 1945 kam er in geistliche Obhut; er ging ins Bischöfliche Gymnasium in Eichstätt, wobei er ab 1947 im Kloster St. Walburg einen „Freitisch“ erhielt und „von Böhmisch-Katholisch auf Römisch-Katholisch konvertiert“ wurde; lange Zeit sollte er der einzige „Flüchtling“ in seiner Klasse sein.  

1949 machte er, wie er selbst sagte, „ein wenig glanzvolles Abitur“. Nach 3 Semestern Theologie in Eichstätt ging er 1951 nach Erlangen und begann dort ein Germanistikstudium und setzte noch Kunstgeschichte und Bibliothekswissenschaft obendrauf. Etliche Jahre trödelte er herum, verdiente Geld um es gleich wieder, solange es reichte, in Italien zu verleben – seine Trauminsel damals war das touristenfreie Stromboli. Er erzählte, dass er so manches schöne Jahr, auf Kosten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bibliotheken heimsuchte und ein „Opus“ ablieferte, das natürlich unter dem Namen seines Professors, Gerhard Pfeiffer, erschien: Die Bibliographie zur fränkischen Landeskunde, 1965/78. Vom Professor bekam er 1000 DM Extra-Salär – damit fuhr er nach Italien; er lebte und liebte eben das „Dolce Vita“ – Pasta und Wein, Kultur, Kunst und die Antike!   

Immer noch ohne richtigen Hochschulabschluss begann er nun am 15.03.1972 eine Ausbildung als Buchhändler in Erlangen, wo er verblieb bis er als Führungskraft am 01.10.1973 das Antiquariat der Buchhandlung Hugendubel in München übernahm. Sein Job war sehr interessant und es bereitete ihm Freude prominente Kundschaft zu betreuen, wie z.B. Otto von Habsburg, das Haus Wittelsbach, Rainer Barzel, Umberto Eco, Weizsäcker u.v.a. Zudem war er stets auf den jährlichen Antiquariatsmessen in München und Stuttgart vertreten, auf dem jährlichen Rotarier-Treffen zu finden und war mächtig stolz, gleich bei der 1. Hugendubler Versteigerung am 15.05.1984 die „Schedel`sche Weltchronik 1493“ anbieten zu können. Ja – er liebte „alte Wälzer“ und Graphiken! Am 01.08.1994 ging er in den Ruhestand.

Zwei Leidenschaften wohnten in seiner Brust: 1. liebte er Italien und kannte Rom besser als München. 2. seine böhmische Wasenmeister- (WM) und Scharfrichterforschung (SchR). Seine Großmutter mütterlicherseits war Elisabeth Leistner (*11.01.1870 +30.01.1933) eine Schindertochter aus Katzenholz. Dieser Berufszweig faszinierte und fesselte ihn Zeit seines Lebens und er sammelte alles darüber, was ihm in die Hände kam. Ab 1970 fuhr er mindestens 2-3 x pro Jahr ins Archiv Pilsen. Man bedenke bitte, es war die Zeit des „eisernen Vorhangs“; es musste alles geplant werden: Er benötigte ein Visum, eine Genehmigung aus Prag zur Büchereinsicht, eine Archivreservierung, eine Zugkarte  und ein Hotel – und alles ohne Computer. Seine Ergebnisse wurden im Jubiläumsband 1981 der VSFF veröffentlicht. Er leistete Pionierarbeit. Seine Forschung gilt heute als Grundstock der genealogischen Datensammlung über WM und SchR in Böhmen.

2001 durfte ich ihn, die Koryphäe in WM- und SchR-Wissen, in Augsburg kennen lernen. Wir teilten die Leidenschaft und fuhren bis im Jahr 2007 fortan in den eisfreien Monaten jeweils für eine Woche gemeinsam in die tschechischen Archive. Tausende Daten konnte er in Pilsen, Leitmeritz, Prag, Luditz und Heinrichsgrün eruieren und seine Forschung entsprechend ergänzen. Seine gesamten Daten wurden 2014 durch die VSFFe.V. unter „Abdecker und Scharfrichter in Böhmen“ auf einer CD veröffentlicht; eine nahezu wissenschaftliche Arbeit mit über 4600 Familienblätter.

Zwei Geschichtchen möchte ich noch anbringen, die er mir oft und oft erzählte.
Seine Großeltern waren Franz Bröckl, Kutscher/Eisenbahner (*1873 +1942) und Theresia Sußmann, Köchin (*1873 +1951). Das wichtigste Ereignis in den Jugendjahren seiner Großmutter war die persönliche Begegnung mit Kaiserin Elisabeth von Österreich. Sie war  Küchenmädchen bei Heinrich Mattoni in Gießhübel, als Kaiserin Sisi in dessen Schlösschen zur „Nachkur“ abgestiegen war. Die Kaiserin war, wie Großmutter immer betonte „inkognito“ dort, d.h. das Personal durfte nicht wissen wer die Dame war und durfte diese auch keinesfalls ansprechen. Großmutter Resi brachte täglich der Dame das Frühstück. Am Tag der Abreise sprach die Dame nach Wortlaut der Großmutter: „Thea, weißt du auch für wen du immer das Frühstück gebracht hast?“ Sprachlos senkte Resi nur den Kopf. „Du hast deine Kaiserin bedient, da hast ein Andenken“ und reichte ihr ein Stück Zwieback, der eigens für die hohe Frau (ohne Salz) gebacken worden war. Und dieses Stück Zwieback hat die Großmutter bis zum Tag, an dem sie binnen 1 Stunde das Haus verlassen musste (20.09.1945), in ein Tüchlein gewickelt in einer Dose aufbewahrt. „Und wenn wir ganz brav waren und gebettelt hatten, durften wir den kaiserlichen Zwieback bewundern – aber nie berühren.“  

Seine Urgroßeltern in Katzenholz waren Josef Leistner, Wasenmeister (*1843 +1932) und Magdalena Kaiser, Wasenmeistertochter (*1845 +1915). Die Urgroßmutter war weit und breit bekannt für ihre „schwarze Vasenol-Heilsalbe“ die sie in Spantiegeln verkaufte. Der Urgroßvater wurde berühmt als Gründer des „Karlsbader Hundefriedhofs“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Anlass war eine Amerikanerin die in Begleitung ihres Schäferhundes als Kurgast in Karlsbad weilte. Ihr Hund verstarb und sie bat den Abdecker, ihren Liebling nicht in das Kalkmassengrab zu legen. Paris und London hätten einen Hundefriedhof, warum nicht Karlsbad? Mit Bewilligung des Staatstierarztes Dr. Bergmann begrub Leistner sen. den Hund etwas abseits der Kalkgruben; somit war der Grundstein für Ruhestätten von geliebten Vierbeinern gelegt. 1931 zähle man rund 40 Hundegräber auf einem eingezäunten Areal von 30 x 40 Meter. Auch ein Kurgast-Affe aus England fand hier die letzte Ruhe; sogar ein Hund aus Russland wurde begraben, dessen Herrchen einige Münzen mit ins Grab legte. Nach einigen Wochen wurde das Herrchen misstrauisch und ließ das Grab öffnen; er fand alles vor. Den alten Leistner nannte er einen „Ehrenmann“ und entlohnte ihn großzügig. Fast alle Gräber wurden mit einem kleinen Holzzaun umfasst, erhielten eine kleine Porzellan-, Marmor- oder Holztafel mit Namens-, Alters-, Rassen- und Heimatangabe. Viele erhielten eine Porzellantafel mit Porträt und alle wurden liebevoll bepflanzt. Es sollte der einzige Hundefriedhof im ganzen Land bleiben.   

Das wichtigste Datum in seiner „Vita“ jedoch war der 30.05.1957. Wieder einmal in Italien, besuchte er an jenem Tag die Audienz von Papst Pius XII. auf dem Petersplatz in Rom. Er stand neben einem jungen Mann aus Wien, mit dem er ins Plaudern geriet. Ihre Wege sollten sich fortan nicht mehr trennen. Dieser Mann, Manfred Karasek, wurde für über 61 Jahre der Lebenspartner an seiner Seite. Seit November 2017 verließ Vetter Bröckl die Wohnung nicht mehr, eine gewisse Altersschwäche hatte ihn überfallen und sein Manfred pflegte ihn hingebungsvoll bis zur letzten Stunde.  

Ich bin mir sicher, dass viele Landsleute, Forscherkollegen, Freunde, ehemalige Kunden, sowie Vettern und Basen Johannes Bröckl in guter Erinnerung behalten werden. Mir selbst wurde er zum Lehrmeister, zum guten Freund und Vetter und ich werde ihm, solange ich lebe, ein ehrendes Andenken bewahren.
Arrivederci Vetter Bröckl – Deine Basl Christine Obermeier
Ponholz, 07.10.2018

1 Kommentar:

  1. War mal wieder wirklich sehr interessant und informativ liebe Christl!

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