Montag, 17. September 2012

Ein „Appodeckher-Brief“ mit Rezept aus Tirol



Ein „Appodeckher-Brief“ mit Rezept aus Tirol

Geschrieben im April (zu Ostern) 1700


Jhr gnaden

Der hoch und wol gebohrnen Frauen Frauen
Maria Anna Von mittenhoffen, Zun
Freiden Thurn, gebohrne walthaserin Von
Pambpurg. (tittul). meiner gidigen
Frauen Frauen gefäderin zueräffnen

den 13 april 1700.                  Meran












Hoch und wol gebohrne gidige Frau Frau
                                       gefäderin.

Neben anwintschung frelicher Oßteren,
volgt daß r e c e p t, daß gerechten laxier
wassers, und bedanckhe mich und die
meinigen, umb die so vil feltige guett Thatten,
die sie unß an gethan, wöllen den lieben gott
bitten, daß er solliches erseegne Nebenst
hin mir nach gehorsambist bitten in gnaden
Zu erhalten. Anbey mir unß gehorsambist
ens Enpfelchen Schlanders den 22 April
1700
                        ganren gehorsambisten
                                   Dinner.
                        Georg Mayrreiter
                                   Appodeckher. 








Purgier Wein v frischen=                   Abführwein aus frischen
kreitern, zu Machen.                          Kräutern gemacht.
                                                          
                                                           Zuerst (die Kräuter von)
Erstlichen Zigory kraut                      Wegwarte
Pimpernel .    kraut                             Pimpinelle
Erdtrauch .     kraut                            Erdrauch
Kärbl ..           kraut                            Kerbel
Melißen ..       kraut                            Melisse
Purogi ..         bleter                           Purogiblätter (?)
Englsieß ..      wurzen                        Englsüßwurzel 
Pameranzenschaller                            Pomeranzenschalen

Jedes woß man zwischen                   Von jedem so viel als man
3 finger foßen kan,                            zwischen 3 Finger fassen kann
Ein xrugil genandt.                            was man 1 Scrupel nennt.
Jtem gelbe Rebarbara                         Weiters gelben Rhabarber
6 quintl.                                              6 Quintl. 
weiße Reb: 4 quintl                            weißen Rha(barber) 4 Quintl
distolierts Zigoriwaßer                       destilliertes Zichoriewasser
12 Vnz. oder Ein guetes                    12 Unzen oder 1 guten
frögle.                                                            Schoppen.
Hernach Ein guete Maß,                    Danach mit einer guten Maß
weißen wein daran                             Weißwein übergießen
gegoßen, und also 24                                     und 24 Stunden ziehen lassen
Stundt stehen loßen, oder                  oder
übernacht auf Einen war=                 über Nacht auf der warmen
men herdtstat stehen loßen                Herdplatte stehen lassen.
dißen Wein solte man                        Diesen Wein sollte man
wenigiß 6 oder 8 tag nach                 mindestens 6 oder 8 Tage
Einander thrinckhen, zu                     nacheinander trinken.
Morgens 2 oder 3 stundt vor                         Morgens 2 oder 3 Stunden
dem mitag Eßen, und 3                     vor dem Mittagessen und 
Stundt darnach widerumben                         3 Stunden nach dem Essen
Jedes mohl Ein guetes frögle             Jeweils einen guten Schoppen
man kan auch zu morgens                  Man kann auch morgens
Ein ½ stundt zu vor Ein                     1 ½ Stunden vor der Einnahme
wenig supen nemben. und olle          ein wenig Suppe zu sich nehmen.
2 tag wider Ein frischen                    Jeden 2. Tag sollte man einen
ansezen. so lang man solchen            frischen Wein ansetzen so lange
thrinckhen will.                                  man diesen trinken möchte.


Ein Brief mit Rezeptur aus dem Jahre 1700. Ein Beleg dafür, daß 1.) auch in Südtirol die Menschen an „Verstopfung“ litten und 2.) anstatt eines Arztes ein Apotheker um Rat befragt wurde. In Meran stand sicher nicht nur ein „Medicus“ zur Verfügung und wie es scheint, hatte die hochwohlgeborene Dame zu diesen kein Vertrauen oder schlechte Erfahrungen gemacht. Es wußte also ein Gewürz- und Kräuterhändler, was ein Apotheker ursprünglich war, aus Schlanders besser Bescheid über die Wirkung der Heilmittel als ein Mediziner in Meran.
Das ist der Unterschied von Theorie und Praxis.

Eine Geschichte, passend zu meinem kürzlich erschienen Buch „Abdeckersleut` als Volksmediziner“.      

Ihre
Christine Obermeier



14.09.2012